Eine perspektivische Ergänzung zu Christian Bünings Text: «Wir sind gestört. Zur Lage der Designer in Deutschland.» → www.designmadeingermany.de/2015/90919
Der Begriff «Design» öffnet parallele Realitäten. Während die einen um ihre Existenz bangen, suchen die anderen noch den — erweiterten — Sinn ihrer Tätigkeit. In wahrscheinlich keinem zweiten Beruf gehen die Definitionen, Ansprüche und Fähigkeiten so weit auseinander wie im Design. Handwerk, Wissenschaft, Autorentum … Design scheint allgegenwärtig!
Christian Büning, Diplom-Designer und derzeit Präsident des BDG, versucht in seinem Text eine Zustandsbeschreibung des aktuellen Designberufes anhand seiner persönlichen Erfahrungen und gesammelter Eindrücke seines Umfeldes. Auf der einen Seite beschreibt er eine Generation von Designern, die sich mit der Demokratisierung ihrer Werkzeuge abgefunden habe und deren Aufgabe darin bestehe, diese professionell zu nutzen. Auf der anderen Seite sieht er eine Generation von — vor allem jüngeren — Designern, deren Versuch ein übergroßes Selbstbild aufrecht zu erhalten, zu einer Unverhältnismäßigkeit zwischen Arbeit, Lohn und Anerkennung führe. In der Konsequenz bedrohe dies die Existenz vieler — im Berufsleben stehender — Designer. Als Grund hierfür sieht er scheinbar — vor allem — eine «Wahrnehmungsstörung» der Designer. «Wir sind keine Weltenretter, sondern schlicht Designer…».
Die von Büning gegebene Begründung für die bestehende Misere ist allerdings zu einfach gedacht und auch nicht zielführend (mal eben die Selbstwahrnehmung ändern?).
Die derzeitige Situation und auch der Teufelskreis des Preisdumping stellt uns vor große Probleme. Ich verstehe die Beunruhigung und bin selbst auch beunruhigt.
Persönliche Erfahrungsberichte und Stimmungsbilder sind deshalb sicher ein wichtiger Teil der dringend erforderlichen Bestandsaufnahme, sollten jedoch meiner Ansicht nach nicht verallgemeinernd auf eine indifferenzierte Masse von Designern übertragen werden, wozu Büning, wenngleich er als Präsident des BDG eine Teilmenge der Designer in Deutschland vertritt, neigt. Sprechen wir also von der Lage des Designers im Allgemeinen, erscheint es daher bedeutsam, diese aus mehreren Perspektiven zu beleuchten.
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Das Selbstverständnis der Designer scheint meines Erachtens vielmehr Teil einer Wechselwirkung und nicht der Grund unserer derzeitigen Situation zu sein. In dieser Wechselwirkung aus mehreren Faktoren, spielen gesellschaftliche Bedürfnisse, die sich aus politischen, menschlichen und zeitgeistlichen Umständen zu konkreten Aufgabenstellungen entwickeln, eine große Rolle. Sprich: Das Umfeld prägt die Inhalte, so wie es in der Vergangenheit der Entwicklung des Designberufes schon vielfach beobachtet wurde.
Der Auswirkung und Prägung dieser gesellschaftlichen Umstände auf unterschiedliche Berufszweige kommt eine erhebliche Bedeutung zu. Diese Umstände beeinflussen auch den Beruf des Designers und führen in allen Bereichen zu einer Veränderung von Werten und Methoden. Das daraus entstehende Selbstverständnis und die Umsetzung dieser «neuen Aufgaben» prägen ein in der Praxis wahrnehmbares Fremdbild, dass sich im Laufe der Zeit gefestigt und etabliert hat. Dieses Fremdbild reflektiert die bestehenden Bedürfnisse und prägt somit wiederum das Selbstbild des Designers. Dieses entwickelt sich mithin dynamisch zu seinem Umfeld.
Der Konflikt scheint somit lediglich zu zeigen, dass unser derzeitiges Selbstbild und die damit verbundenen Aufgaben nicht den gesellschaftlichen Ansprüchen entsprechen. Ein Selbstbild ist danach nicht nur an eine persönliche Entscheidung geknüpft, wie es in Bünings Text durchklingt, sondern es wird ebenso von den gestellten Anforderungen und der Fremdwahrnehmung bestimmt. Es entsteht hierdurch ein Ungleichgewicht zwischen der Wirkung des Designers und der Rückwirkung durch die Gesellschaft. Dies führt dann zu Frustration.
Die zentrale Frage ist also nicht, welche Bezahlung für die alten Aufgaben angemessener wäre oder wie wir unser traditionelles Handwerk mit neuen Werten versehen, sondern vielmehr, welche Aufgaben auf der Basis des traditionellen Handwerks zeitgemäß und sinnvoll sind, um mit unserer Denkweise und unseren Fähigkeit ein dynamisches — gewandeltes — Berufsbild formen zu können.
Nicht die Situation passt sich also unseren Bedürfnissen als Designern an, sondern wir Designer müssen uns der — neuen — Situation «anpassen», bzw. hierauf angemessen reagieren.
«Liebhaber-Nischen» wie im Letterpress sind dabei wohl nicht mit einzubeziehen, können aber auch nicht Grundlage dieser Diskussion sein. Die Erkenntnisse eines Galileo sind ja auch nicht Bestand der aktuellen Forschung, werden aber trotzdem gelehrt und sind für die Herleitung und das Verständnis des «großen Ganzen» wichtig.
Wir scheinen uns also derzeit (wieder) in einer Art beruflichem Ungleichgewicht zu befinden, einem Wende- bzw. Scheidepunkt, der es ermöglicht, alte Inhalte neu zu denken und auf der Basis einer stabilen Ökonomie Wege für die Designpraxis zu entwickeln. Im Zuge der Digitalisierung scheinen sich unsere Werkzeuge schneller entwickelt zu haben als unsere Inhalte. Aus diesem Grunde halte ich es — entgegen Büning — nicht für sinnvoll, im Rahmen der Bestandsaufnahme in erster Linie bei den wirtschaftlichen Auswirkungen anzusetzen — sondern viel früher, nämlich bei unseren Inhalten, Fähigkeiten und Denkweisen.
Wer sind denn «Wir Designer«? Was machen «Wir Designer»? Haben wir alle die selbe Haltung, alle die selbe Ausbildung und alle die selben Denkstrukturen? Allein in meinem näheren Designumfeld hat fast jeder eine eigene persönliche Definition für sein Tun und entsprechend auch andere Ansprüche daran.
Wir sind nicht »Wir Designer«, genauso wenig wie es »Wir Wissenschaftler« oder meinetwegen auch »Wir Ärzte« gibt. Ein Neurowissenschaftler untersucht üblicherweise keine Meerestiere und ein Anästhesist behandelt normalerweise auch keine Knochenbrüche. Design ist nicht Design. Der Begriff «Design» umreißt lediglich einen Tätigkeitsbereich, kann jedoch niemals vollständig alle einzelnen Ausprägungen beschreiben.
Vielleicht sollten wir es wirklich einmal «nüchtern betrachten und einsehen», so Büning, «dass wir nur Designer sind» — verbunden mit dem Versuch herauszufinden, was das wirklich ist und wie viele Formen es davon gibt.
Um die von Büning mit einer Magersucht verglichenen «Wahrnehmungsstörung zu entstören», braucht es mehr als «Körperübungen und eine behutsame Umbewertung von Essen unter Anleitung.» Es braucht Identität, einen Blick in die Vergangenheit und jahrelange Therapie. Übertragen auf das Design kann es demnach keinesfalls ausreichen, eine «Umbewertung von Arbeit» als Ziel zu formulieren.
«Wir Designer» als wabernde Masse dürften derzeit also kaum in der Lage sein, Forderungen zu stellen oder Antworten auf etwas zu geben, wofür uns noch die Fragen fehlen.
Für eine Entwicklung zum Besseren ist es erforderlich, dass «wir Designer» uns über die Grenzen unseres persönlichen und fachlichen Umfeldes austauschen, von denen lernen, die sich täglich mit derartigen Prozessen beschäftigen und vor allem auch die jungen DesignerInnen als vollwertige Gesprächspartner anerkennen und in die Diskussion und Entwicklung mit einbeziehen. Gerade ihre Visionen können im Austausch mit den Erfahrungen älterer Designer der Anfang eines langen Weges bis hin zu einer differenzierteren, sinnhafteren und ökonomischeren Designpraxis — für alle Altersklassen — sein.